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Lobbyieren für die Menschen

Lobbying bewegt die Gemüter und spaltet die Geister. Während Lobbyismus für die einen ein wichtiger Bestandteil einer lebendigen Demokratie ist, sind die anderen davon überzeugt, dass er die Demokratie an die Wand fährt.

Demokratie in Gefahr?

Ich könnte hier eine Abhandlung über die Vor- und Nachteile von Lobbyismus schreiben. Auf deren Gefahren hinweisen und deren Auswüchse brandmarken. Ich könnte darauf hinweisen, wie stark die Politik von Lobbyist:innen gesteuert wird. (Das macht aber Lobbywatch.ch schon ausgezeichnet.) Ich könnte auch argumentieren, dass die grossen Verbände, Konzerne und Interessengruppen ein Heer von Lobbyist:innen im Sold und deshalb einen enormen Einfluss auf die Meinungsbildung haben. Aber auch, dass viele Parlamentarier:innen mit ihren bezahlten Mandaten selbst die besten und einflussreichsten Lobbyist:innen im Parlament sind (Quellen: Tagesanzeiger, Swissinfo).

Auch könnte ich fordern, dass die Vereinnahmung der Politik durch die Lobbys eine saubere und transparente Regelung erfordert, wie das z.B. in Deutschland mit einem umfassenden Lobbyregister der Fall ist. Auch könnte ich warnen, wie die grossen Tech-Konzerne mit Millionenbudgets versuchen, ihren Einfluss auf die Schweizer Politik weiter auszudehnen, um bei der Regulierung ihres Sektors mitzureden und so die demokratische Entscheidungsfindung untergraben. Oder aufzeigen, wie Parlamentarier:innen oder wichtige Verwaltungsmitarbeitende beim Ausscheiden aus ihren Ämtern zu privaten Unternehmen und Interessenverbänden wechseln und dort mit ihren geschätzten politischen Erfahrungen Lobbytätigkeiten übernehmen.

Ich könnte dies alles tun, aber es scheint mir nicht zielführend.

Macht, Einfluss und Eigeninteressen

Kein Problem entsteht ohne Ursache. Gerade bei etwas so Vielschichtigem und Umstrittenem wie dem Lobbying, ist es wichtig, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern in die Tiefe zu graben.

Worum geht es im Kern? In einer konkurrenzbasierten und marktorientierten Welt ist die Verfolgung von Eigeninteressen das, was Unternehmen erfolgreich macht und weiterbringt. Firmen und Konzerne werfen neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt, wollen diese verkaufen und dabei möglichst gutes Geld verdienen, damit sie sich am Markt behaupten und am besten noch an Grösse und Macht zulegen können. Ein neuer Player soll ja auf keinen Fall zum eigenen, existentiellen Problem werden.

Was liegt da näher, als auf jene Institution Einfluss zu nehmen, welche die eigene Wirtschaftlichkeit mit “flankierenden Massnahmen” zu lenken versucht oder mit “Standortvorteilen”, “Rahmenbedingungen” oder Subventionen zu fördern versteht? Und wenn die Politik nicht weiss, wie der Markt funktioniert, dann schickt man halt eigene Leute in die Lobbys der Parlamente. Oder man zapft gleich die Schaltstellen der Politik über lukrative Mandate an. Dass ihr Marktwissen in die Politik einfliesst, scheint wichtig, es geht ja auch immer um den Erhalt von Arbeitsplätzen und einen “gesunden Werkplatz Schweiz“.

Wir halten fest: Weil in einer Marktwirtschaft Unternehmen von politischen Entscheiden abhängen, wollen sie auf diese Entscheidungen auch Einfluss nehmen.

Was kann daran falsch sein?

Kampf um Bürgerinteressen

Schwierig wird es, wenn sich die Eigeninteressen von Wirtschaft, Politik und Banken, nicht mehr mit den Interessen der Bürger und Bürgerinnen decken. Wenn wegen der Forderung nach Wirtschaftlichkeit Arbeitsplätze abgebaut oder wegen Wachstumszwängen Naherholungsgebiete oder Ackerflächen durch Strassen und Industrieareale zerstört werden, dann haben wir ein Problem.

Spätestens jetzt steigen die Lobbys in den Ring und kämpfen um den Einfluss der Politiker:innen. Dieser Kampf erfolgt dann mit allen möglichen oder auch mal unmöglichen Mitteln. Ein Beispiel:

Wenn der Tierschutz mit einer erfolgreich eingereichten Initiative für eine lebenswerte Tierhaltung viel Einstreu in den Ställen, Abwechslung und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere, Auslauf in der freien Natur und ein längeres Tierleben fordert, dann ist der Aufschrei vorprogrammiert. Denn, auch wenn das Anliegen und das Wohl der Tiere eigentlich allen am Herzen liegt, muss jemand diesen Mehraufwand bezahlen. Ein gutes Leben kostet nun mal, das wissen wir alle.

Die Bauernlobby hält deshalb mit den steigenden Aufwänden dagegen und möchte diese abgegolten sehen. Die Detailhändler plädieren hingegen für mehr Effizienz und grössere Betriebe, denn im Konkurrenzkampf um Kund:innen sind höhere Preise kaum förderlich. Die Konsumenten wollen nicht mehr zahlen, da sowieso immer alles teurer wird. Und Bund, Kanton und Gemeinden besitzen kaum Handlungsspielraum für zusätzliche Zahlungen, weil ihre Haushaltsbudgets chronisch überlastet sind. Die Interessen könnten gegensätzlicher nicht sein.

In der parlamentarischen Diskussion sprechen sich sodann die Bürgerlichen mit ihren Lobbys klar gegen und die Linken klar für die Initiative aus. Ein Gegenvorschlag wird verworfen, weil die Vorlage viel zu weit geht und die Schweiz angeblich bereits die strengsten Tierschutzgesetze weltweit besitzt.

Rolle der Lobbyisten:innen im Abstimmungskampf

Im anschliessenden Abstimmungskampf werden die Interessenverbände öffentlich aktiv: Kampagnen werden gestartet, Inserate geschaltet, Bauern und Verbände mit ihren kommunikativen Aushängeschildern mobilisiert. Warnende Plakate werden aufgehängt, Flyer verteilt und über die Sozialen Medien wird versucht, die “öffentliche Meinung” im eigenen Sinne zu beeinflussen. Gelder fliessen reichlich und hitzige Diskussion lassen die ursprüngliche Idee der Verbesserung des Tierwohls vergessen gehen. Die immer währenden wirtschaftlichen Zwänge wiegen viel zu schwer. Da hat es für Tierfreund:innen und Träumer:innen keinen Platz, denn von der harten marktwirtschaftlichen Realität haben sie ja keine Ahnung!

Kein Wunder lehnt das Volk dann auch die Vorlage an der Urne ab – neben zu vielen wirtschaftlichen Unsicherheiten und höheren Preisen, stand ja auch noch der Verlust von Arbeitsplätzen im Raum.

Dies ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie Lobbying fester Bestandteil unseres politischen Alltags ist. Das Spannungsfeld der gegensätzlichen wirtschaftlichen Interessen ist Heimat und Spielfeld unserer Lobby-Gruppierungen.

Die Schattenseiten unseres Systems

Aber können wir hier Schuldige ausmachen? Klar sind Banken, Konzerne und die grossen Verbände jene, mit den längsten Spiessen und dem meisten Geld und damit auch jene mit dem besten Möglichkeiten, ihren Einfluss geltend zu machen. Aber ist dies nicht genau das, was unser marktwirtschaftlich strukturiertes System verlangt? Konkurrenz schafft Konkurrent:innen und im Sinne des Marktes stehen alle ständig im Ring. Im unerbittlichen Wettbewerb entstehen so logischerweise Gewinner:innen und Verlierer:innen. Das ist gewollt, auch um des sogenannten „Fortschritts“ Willen.

Wie im Sport wird auch im wirtschaftlichen Wettbewerb deshalb alles versucht, um besser zu sein und Marktanteile zu gewinnen. Das reicht von der Selbstoptimierung (durch Rationalisierung und Steigerung der Effizienz) eben auch bis zur Beeinflussung und dem Aufweichen oder gar Brechen der Anstandsregeln. Während im sportlichen Wettbewerb die Sportler:innen selber als Gewinner:innen und Verlierer:innen hervorgehen, sind aber im wirtschaftlichen Wettbewerb am Schluss meist wir alle irgendwie von den Konsequenzen dieser Macht- und Geldspiele betroffen. Als Gesellschaft schaffen wir uns damit nur neue Probleme.

Transparenz und Ethik

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Deshalb sollten ja auch mindestens Regeln für den Lobbyismus her. Denn Transparenz und Ethik soll Teil des “Spieles” werden.

Aber wer entscheidet am Schluss, was möglich sein soll und was nicht? Wie transparent mit Geldern umgegangen und wie stark die wirtschaftlichen Verflechtungen offengelegt werden müssen? Die Politiker:innen natürlich, beraten von ihren Lobbyist:innen. Wie sich gezeigt hat, sind die Bemühungen, verbindliche Regeln für alle festzuschreiben, mehrheitlich gescheitert. Entweder sind sie nur freiwillig umzusetzen oder durch Schlupflöcher aushebelbar.

Dies hat seine Gründe. Das System braucht die Lobbyist:innen genauso, wie Lobbyist:innen des bestehende System. Je mehr deren Tätigkeiten eingeschränkt werden, desto stärker wird sich auch ein Graubereich etablieren, wo die Einflussnahme dann im Versteckten doch wieder möglich sein wird.

Der immerwährende wirtschaftliche Kampf

Wir halten fest: Wo im Wettbewerb des Marktes Interessen aufeinanderprallen steht die Lobby den Beteiligten als „Argumentationshilfe“ zur Seite. Wer Konkurrenz sät, wird Lobbyismus ernten. So „einfach“ ist das in der Marktwirtschaft.

Man könnte deshalb auch behaupten, dass Lobbying nicht wirklich das Problem ist. Lobbying ist ein Mittel, um unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem mit allen Konsequenzen am Laufen zu halten. Die wirtschaftlichen Zwänge sind der Antrieb, welche den Lobbyismus entstehen lassen und steuern. Und je schwieriger die Zeiten, desto härter sind die Bandagen, mit welchen gekämpft wird.

Aber wenn die Grundlagen unseres Wirtschaftens Kampf bedeuten, dann sind alle Bemühungen um ein gutes Leben, um Wohlstand, Schutz und Sicherheit für alle, reine “Pflästerli-Politik”.

Der immerwährende wirtschaftliche Kampf um Marktanteile, jeder gegen jeden, kann per Definition kein wirkliches und schon gar kein sinnvolles gemeinsames Ziel einer Gesellschaft beinhalten. Manche werden dem widersprechen und als gesellschaftliches Ziel den Wohlstand nennen wollen. Aber was ist, wenn der Wohlstand da und das Ziel damit erreicht ist? Der wirtschaftliche Kampf muss dennoch endlos weiter gehen. Denn, er ist ein Grundpfeiler unserer Ökonomie! Eine wirklich friedvolle, stressbefreite gesellschaftliche Ordnung kann deshalb nur entstehen, wenn dieses gegenseitige Bekämpfen beendet wird.

Wie das Ende des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes aussehen soll, lasse ich offen. Wir müssen uns aber bewusst werden, dass wir dem Lobbyismus nicht die Schuld an den vielen ungelösten Problemen und halbherzigen Lösungen geben können. Er ist nur ein Symptom, eine Erscheinung, bedingt und erschaffen durch unser eigenes Wirtschaftssystem.

Kreativer Lobbyismus für Zufriedenheit und Freude

Wagen wir am Schluss aber trotzdem noch einen Blick in eine etwas andere Welt:

Wie wäre es, wenn wir nicht in einer marktorientierten, sondern einer rein bedürfnisorientierten kooperativen Welt leben würden? Wofür würden Lobbyist:innen dann lobbyieren? Welches wären ihre Interessen, die sie vertreten würden, wenn es einfach nur noch darum ginge, die Bedürfnisse aller gleichermassen zu befriedigen?

Welche Bedeutung hätte Profit beispielsweise noch, wenn von Anfang an feststeht, dass auf unserer Erde einfach genügend Getreide produziert werden muss? Genug, damit alle Menschen ihren Bedarf an Brötchen, Fladenbroten oder Teigwaren decken können? Welche Vorteile müssten beim Bauen von Wohnhäusern noch herausgeschlagen werden, wenn der notwendige Wohnraum so geschaffen würde, indem die Bedürfnisse nach Komfort, Geselligkeit, Privatsphäre, Naherholung, lokale Lebensmittelversorgung, Erreichbarkeit und vielem mehr, einfach mit allen Interessierten und Betroffenen gemeinsam besprochen, verhandelt, entschieden und das Ergebnis daraus anschliessend zusammen umgesetzt würde? Oder wenn nur so viele Fahrräder, Autos, Busse und Züge gebaut und gewartet werden müssten, bis eine möglichst einfache und umweltschonende Mobilität für alle – und damit das Bedürfnis, in vernünftiger Zeit von A nach B zu kommen – gedeckt ist?

Wer müsste noch auf seinen wirtschaftlichen Vorteil bedacht sein, in einer Welt, die Marktanteile und Konkurrenz ersetzt durch ein gemeinsames Tätigsein in allen wichtigen Wirtschaftsbereichen – nur solange bis das Optimum der Bedürfnisbefriedigung erreicht ist? Und all das ohne Preisdruck, Marktzwang, Werbeoffensiven und Konkurrenzanalysen?

Wenn wir unser Wirtschaften einfach danach ausrichten würden, dass alle das erhalten, was sie benötigen und dabei jeder seinen Teil dazu beiträgt, was würde uns Wachstum, Markt und Konkurrenz dann überhaupt noch interessieren?

Lobbyismus wäre dann vielleicht ein kreativer und starker gemeinsamer Thinktank, welcher dafür sorgt, dass bei Problemen die betroffenen Gemeinschaften am Schluss die BESTE Lösung innerhalb der planetaren Grenzen erhalten. Der Eigennutz daraus wäre Zufriedenheit und Freude. Freude an der Lösung und an der Freude der Menschen, deren Probleme nun behoben sind.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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Werner Schuller

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