Literatur mit Zukunft

Wie sieht eine Welt ohne Lohnarbeit aus, in der alle ihrer gewählten Berufung nachgehen und sich gegenseitig helfen? Solche Zukunftsvisionen finden sich vor allem in der Literatur. Sie bietet Inspiration und öffnet unsere Augen für das zunächst Undenkbare. Die Spekulationen der Phantastik können uns helfen herauszufinden, was wir uns für die Zukunft wünschen und was wir lieber vermeiden möchten. Vor allem Texte aus dem Genre Science-Fiction bieten zugängliche Visionen, die als Diskussionsgrundlage für gesellschaftliche Themen dienen. Dies soll hier am Thema Arbeit illustriert werden. 

Viele Menschen sorgen sich in Angesicht des technologischen Fortschritts um die Zukunft ihrer Arbeit. Doch wie könnte sich die zunehmende Automatisierung der Arbeit auf eine Gesellschaft auswirken? Während viele Menschen auf negative Szenarien fokussieren, kann es auch positive Antworten auf diese Frage geben. Mit Science-Fiction lässt sich dieses komplexe Thema besser verstehen.

Science-Fiction öffnet Denkräume: Wie verändert sich Arbeit in einer Welt von Automatisierung und Technologie?

Technologie und Arbeit

Wenn Technologie zunehmend die menschliche Arbeit ersetzt und verändert, wird dies zwangsläufig Auswirkungen auf eine Gesellschaft haben. Wir erwarten, dass die Arbeit, die heute noch manuell durch Menschen gemacht wird, immer mehr mechanisiert oder digitalisiert sowie automatisiert wird. Maschinen haben schon immer Arbeitsplätze verändert oder zum Verschwinden gebracht – man denke zum Beispiel an Wäscherinnen oder Weber. Daher ist es verständlich, dass viele Menschen sich um die Zukunft ihres Berufs fürchten. In Zeiten von ChatGPT sind auch Berufe im Bereich Journalismus, Korrektorat und Übersetzung, Sachbearbeitung, Accounting, Design, Kundendienst, Steuerberatung und Programmierung besonders bedroht.

Ein bekannter Teil der Science-Fiction fokussiert auf Katastrophen, die das gesellschaftliche Leben schlagartig oder schleichend verschlechtern können. Solche negativen Zukunftsvisionen lassen sich unter dem Sammelbegriff der Dystopie zusammenfassen und sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch politische Warnungen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist George Orwells Buch 1984, welches 1949 erschienen ist.

Die Furcht um Arbeitsplätze: Grundlagen für Dystopien

Dystopien, welche den Verlust von menschlicher Arbeit thematisieren, geben unseren schlimmsten Befürchtungen Gestalt: Wegen des technologischen Fortschritts verlieren wir unsere Einkünfte, der Konkurrenzdruck um die verbliebenen Jobs steigt und die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Armut und Kriminalität breiten sich aus und eine ausgeprägte Zweiklassengesellschaft entsteht. Mit der immer anwachsenden Ungleichheit nehmen soziale Unruhen zu. Die Regierung reagiert zunächst mit verstärktem Polizeischutz, dann mit systematischer Unterdrückung. Viele dystopische Romane und Filme (z.B. «Elysium») setzen an diesem Punkt an, um den Aufschwung einer Rebellion gegen die Elite aufzuzeigen. 

Wenn Maschinen menschliche Arbeit ersetzen, entstehen neue Fragen: Dystopie oder Utopie?

Solche Geschichten sind vielen von uns bekannt – doch wie sieht es mit dem Gegenbild aus? Utopien sind das Gegenteil von Dystopien und beschreiben positive Zukunftsvorstellungen. Wie könnte eine Utopie der Arbeit aussehen? Tatsächlich ergeben sich spannende Diskussionen, wenn man dystopische und utopische Visionen der Arbeit miteinander vergleicht.

Literatur als Spiegelbild

Wenn Technologie die menschliche Arbeit ersetzt, können sowohl Dystopien wie auch Utopien entstehen. Unter welchen Bedingungen Arbeitsplatzverluste positiv oder negativ dargestellt werden, sagt viel über uns Menschen aus. In diesem Sinne ist die Literatur auch ein Spiegelbild für uns, da sie viel über unsere Kultur und Bedürfnisse verraten. 

Eine Kurzgeschichte, die das sehr gut macht, ist «Folding Beijing» von Hao Jingfang (engl.). In dieser Zukunftsvision von Peking teilen sich drei Klassen Raum, Zeit und Wohlstand in sehr ungleicher Weise. Ein Abfalltechniker dringt in die Welt der höheren Klassen ein und erfährt, dass die Abfallindustrie, welche die ökonomische Säule der dritten Klasse ist, eigentlich schon längst durch Technologie ersetzt werden könnte. In dieser Geschichte wird deutlich, dass Arbeit einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat – nicht nur, um sich und die Familie zu finanzieren, sondern auch als wichtige Quelle von Identität und Stolz. Arbeit strukturiert unser Leben, gibt uns Beschäftigung und Möglichkeiten, uns weiterzuentwickeln und nach unseren Zielen zu streben. Doch Arbeit und Lohn sind oftmals auch eine Messlatte, an dem der Beitrag eines Menschen an die Gesellschaft gemessen wird. Wer sich ersetzbar fühlt, beginnt am Sinn in der eigenen Arbeit und an sich selbst als Arbeitnehmer:in zu zweifeln. Menschen, die arbeitslos werden, neigen dazu, depressiv zu werden, selbst wenn ihre Grundbedürfnisse gesichert sind. Manche fühlen sich regelrecht abgeschnitten von der Gesellschaft. Die eigene Ersetzbarkeit – nicht nur durch andere Menschen, sondern auch durch Technologie – ist ein Grund für eine weitverbreitete Sinnkrise. Doch das muss nicht sein.

Unsere Welt weiterdenken

Wirkt sich technologischer Wandel zwingend negativ auf eine arbeitende Gesellschaft aus? Nicht jede Beschäftigung wird gerne gemacht, sei sie zu anstrengend, zu monoton oder zu schlecht bezahlt. Heute sind wir froh, dass die Waschmaschine wäscht und der Putzroboter saugt. Technologie kann bestehende Aufgaben ergänzen und verbessern, ohne die Arbeitsplätze zu gefährden. Ein Beispiel aus der Science-Fiction ist die KI-Assistenz JARVIS, die dem Superhelden Iron Man hilft, superschnell Daten zu verarbeiten, Infrastruktur zu verwalten und auf Bedrohungen zu reagieren.

Technologischer Wandel muss nicht nur Arbeitsplätze gefährden – Assistenzsysteme können auch entlasten und bestehende Aufgaben verbessern.

Produktivität neu zu denken ist erst der Anfang dessen, was uns eine utopische Science-Fiction lehren kann. Manche Science-Fiction Bücher verbinden utopische und dystopische Komponenten in einem Werk: Der Roman «Freiheitsgeld» von Andreas Eschbach diskutiert auch die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Darin wird impliziert, dass manche Menschen weniger körperliche und mentale Belastung durch die Arbeit erfahren und manche nur der Arbeit nachgehen, die ihnen Erfüllung bringt. Gleichzeitig treten Figuren in Erscheinung, die orientierungslos sind und kein gutes Leben führen, während andere im abgeschotteten Luxus leben. Der Roman lädt dazu ein, sowohl über die möglichen positiven Seiten des Grundeinkommens nachzudenken, als auch über die zahlreichen ungelösten Probleme unserer Realität.

Technologischer Fortschritt kann Arbeitslosigkeit verschärfen oder neue Chancen eröffnen – entscheidend sind soziale Ziele, Bildung und Anpassung.

Das Erkunden von Alternativen mittels Utopien 

Weitere Romane, die bei den heutigen Problemen ansetzen und nach politischen und wirtschaftlichen Lösungen suchen, sind der deutsche Roman «Pantopia» von Theresa Hanning und der US-amerikanische Bestseller «Das Ministerium für die Zukunft» von Kim Stanley Robinson. Beide Bücher nutzen die relative Zugänglichkeit von Geschichten, um uns existierende Lösungsansätze und Initiativen vorzustellen, die unsere Welt verändern könnten.

Neue soziale Realitäten erträumen

Wer denkt, in Science-Fiction gehe es immer um Big Tech und nie um soziale Entwicklungen, irrt sich gewaltig. In der Literatur entfalten sich Möglichkeiten, um ganz neue, positive Gesellschaftsvisionen zu entwerfen und zu diskutieren. Sie kann auch konkrete Handlungsräume sichtbar machen. So zeigt der Roman «Walkaway» von Cory Doctorow auf, wie schwierig es ist, sich von der modernen Konsumwelt zu lösen und den Problemen der heutigen Wirtschaft zu entziehen. Die Hauptfiguren steigen aus dem Status Quo aus und überwinden viele Hürden, um sich in einer alternativen Gesellschaftsform wiederzufinden, welche Werte wie Gleichheit und Selbstbestimmung höher als Leistung gewichtet. 

Dass Grundbedürfnisse der Menschen dank des technischen Fortschritts immer einfacher gedeckt werden, ist nicht nur ein Thema in Walkaway, sondern wird auch in der Mars-Trilogie von Kim Stanley Robinson oder in der Kultur-Serie von Iain Banks angetönt. Solange der Lebensstandard gut ist, kann weniger Arbeit auch mehr Zeit bedeuten, um das Leben zu erkunden und geniessen: Mehr Zeit für Familie, Freundinnen und Bekannte, für gesellschaftliches Engagement und für Kreativität.

Von Philosophie zur demokratischen Technologie

Ein Roman voller grosser gesellschaftlicher und philosophischer Ideen ist «A Half-Built Garden» (engl.) von Ruthanna Emrys. Darin findet sich ein Entwurf einer zukünftigen Welt, wo nach zahlreichen ökologischen Katastrophen die Löwenzahn-Revolution dazu führte, dass Demokratie durch Netzwerke von Wassereinzugsgebieten organisiert und auf der Basis von partizipativer Technologie funktioniert. Es ist ein Zukunftsentwurf, wo Mutterschaft und Leadership sich nicht in die Quere kommen, sondern einander stärken. Das Buch beschreibt eine Welt, wo das Ziel der Arbeit ist, die Lebensgrundlagen wiederherzustellen und ökologische Krisen dank einer Art Schwarmintelligenz zu meistern. 

Für eine Portion Trost und Courage

Die Science-Fiction Literatur bietet nicht nur Ideen, sondern kann uns auch emotional stärken, um an unserer positiven Zukunftsvision zu arbeiten. Emotional berührend sind beispielsweise die Teemönch-Bücher von Becky Chambers, welche auch schon als «Cozypunk» bezeichnet werden, da sie nicht nur tröstlich, sondern auch ermutigend sind. Darin geht es neben dem bewussten Verzicht auf unsinnige Technologien auch um den Zweck von Arbeit, den Umgang mit innerer Unruhe, zwischenmenschlichen Differenzen und soziale Verbundenheit.

Ein wohl bekannteres Beispiel ist der Pixar Animationsfilm WALL-E. Es zeigt einen kleinen Roboter, der unermüdlich die verlassene Erde aufräumt, während die Menschheit auf einem Raumschiff ein komfortables, aber fremdbestimmtes Leben führt. Dank WALL-Es Glaube an eine lebendige Erde, sein Mitgefühl und seine Entschlossenheit hinterfragt die Menschheit ihren bisherigen Lebensstil und findet Hoffnung, die Erde wieder zu besiedeln. Ein sehr ermutigender Familienfilm.

Auch im Künstlichen kann etwas Tröstliches liegen.

Zwischenfazit

Unsere Zukunftsvisionen dürfen mutig sein und über heute bekannte Konzepte hinausgehen. Spekulative Literatur wie Science-Fiction bietet Inspiration und konkrete Diskussionsgrundlagen, um unsere Wünsche und die Zukunft weiterzuentwickeln. Wenn wir also nicht auf technologischen Fortschritt verzichten möchten, dann lohnt es sich zu überlegen, woran wir dystopische und utopische Science-Fiction voneinander unterscheiden. Was macht eine Welt mit wenig Arbeit positiv? 

Eine Erkenntnis ist, dass es wesentlich ist, wie die Früchte der Arbeit verteilt werden. Profitieren nur wenige Menschen von der erhöhten Produktivität und von den Gütern und Dienstleistungen? Menschen ohne klassische Arbeitsstelle müssen ebenfalls ein gutes Leben führen können. Denn rein ökonomische Betrachtungen mit Fokus auf Kapital und wirtschaftlichen Output führen uns wahrscheinlich in die Dystopie. Wenn nur eine kleine, abgeschottete Elite ein utopisches Leben führen kann, während eine Mehrheit der Menschen leidet, ist es keine Utopie. Ebenso ist wichtig, dass Menschen immaterielle Bedeutung in ihren Tätigkeiten finden, welche ihnen Sinn geben. Zukunftsvisionen, die auf technologischen Fortschritt bauen, sollen auch soziale und kulturelle Bedürfnisse berücksichtigen. Diese Überlegungen sind zentral, wenn wir als Gesellschaft nicht von technologischen Veränderungen und Disruptionen überrumpelt werden wollen. Dafür brauchen wir klare gesellschaftliche Ziele und Visionen, welche durch politische Leitplanken abgesteckt werden können.

Also – was für eine Zukunft wünschen wir uns? Komm an eine der Monda Futura Veranstaltungen und teile deine Antwort mit uns!

Bild von Evelyn Frischknecht

Evelyn Frischknecht

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