four people sitting on shore forming hearts with their hands during golden hour

Vertrauen – Teil 3 – Herzen verteilen

Wenn Menschen im Mittelalter in einem Dorf zusammenlebten, dann war das häufig ein bewusstes Eingehen von Abhängigkeiten mit gegenseitigen Versprechen. Das schaffte Vertrauen und stellte sicher, dass die Familien, Wohn- und Lebensgemeinschaften funktionieren und überleben konnten. 

Das dem Dorf zugeordnete Gebiet wurde Dorfmark(ung) genannt. Dazu gehörte in der Regel auch ein gemeinschaftlich genutztes Land (Allmende), das für verschiedene Zwecke wie Weidewirtschaft, Holzschlag oder Ackerbau genutzt wurde. Für die Nutzung der Ressourcen und deren Verwaltung gab es Regeln und Absprachen. Die Dorfmark spielte deshalb eine wichtige Rolle im sozialen und wirtschaftlichen Leben der mittelalterlichen Dorfgemeinschaften: Sie ermöglichte den Bewohner:innen, ihre Lebensgrundlagen zu sichern und gemeinsam zu wirtschaften.

Die Illusion der Unabhängigkeit

people walking on grey concrete floor during daytime

Heutzutage sind diese lebenswichtigen Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten in einem Dorf kaum mehr sicht- und spürbar. Wir können in einem Dorf leben, ohne jemals zu wissen, woher unser Wasser, Strom oder unsere Wärme kommt oder wer die Strassen und die gemeinschaftlichen Gebäude und Plätze unterhält. Wir zahlen unsere Steuern und beteiligen uns im besten Falle bei der Wahl der Gemeindemitglieder oder an der Gemeindeversammlung. Eine direkte Abhängigkeit, bei welcher sich eine Mehrheit der Dorfbewohner:innen verbindlich für das Funktionieren des Dorfes einbringt, gibt es heute eigentlich kaum mehr. 

Und vieles ist heute einfach selbstverständlich. Der persönliche Beitrag zur Dorfgemeinschaft wird ersetzt durch den steuerlichen Geldbeitrag. Wir fühlen uns deshalb auch nur noch dem Geld(verdienen) verpflichtet. Geld ist der Tribut an die Gesellschaft, durch welchen wir uns „freikaufen“. Mit unserem Geld können wir Lebensmittel besorgen, ein Haus erwerben, eine Wohnung mieten (mit Wasser, Strom und Wärme inklusive) oder ein Auto besitzen. Eigentlich genial!

Dabei entsteht aber die Illusion völliger Unabhängigkeit, obwohl wir täglich auf x Menschen angewiesen sind. Durch den Einsatz von Geld wird diese Abhängigkeit verschleiert und anonymisiert. In der Gemeinde sorgen die Gemeindeangestellten dafür, dass unser Zuhause wie gewünscht mit Strom, Wasser und Wärme versorgt wird und die Strassen befahrbar bleiben. Und die im Laden gekauften Rüebli muss ja auch jemand angebaut und geerntet, die Backsteine der Wohnung gebrannt und unser Auto entworfen und zusammengebaut haben. 

Abhängigkeiten sichtbar machen

a black and white photo of a bird on a wire

Wie wäre es deshalb, wenn wir mal im kleinen Rahmen eine Karte unserer Abhängigkeiten erstellen würden? Fangen wir zu Hause in der Familie an. Es ist erstaunlich, wie viele Abhängigkeiten da plötzlich auftauchen und wie vieles einfach als selbstverständlich betrachtet wird. Stellen wir uns dazu mal folgende Fragen:

  • Wer kocht mir das Essen?
  • Wer wäscht meine Kleider?
  • Wer saugt die Wohnung?
  • Wer räumt den Geschirrspüler ein/aus?
  • Wer putzt die Küche und das Bad?
  • Wer kauft für mich ein?
  • Wer bäckt mein Brot?
  • Wer baut mein Gemüse an?
  • Wer flickt mein Velo und Auto?
  • Wer bringt die Zeitung und die Päckli?
  • Wer versorgt mich mit Wasser und Strom?
  • Wer sorgt dafür, dass es warm in meiner Wohnung ist?
  • Wer sorgt dafür, dass mein Abwasser täglich gereinigt wird?
  • Wer unterhält die Strassen und Wege, damit ich sie so einfach benutzen kann?

Wer alleine wohnt, für den wird es erst im zweiten Block spannend. Wenn wir nur schon überlegen, woher all die Dinge kommen, welche wir täglich kaufen, verwenden, benutzen und brauchen und wer sie produziert und liefert, dann müssen wir feststellen: Es sind schnell mal Hunderte von Menschen, um den ganzen Globus herum, beschäftigt, damit wir so ein einfaches und angenehmes Leben führen können.

Und was ist der Dank für diese Menschen?

Der „Dank“ an diese anonym „für uns“ arbeitenden Menschen ist ihr Lohn. Wieviel das ist, ob er fürs Leben reicht, wie die Arbeitsbedingungen, das Arbeitsklima ist, das alles wissen wir meist nicht. Und der Marktwirtschaft als System ist dies auch völlig egal. Oder eben doch nicht ganz, denn damit ein Produkt gekauft wird, muss sein Preis „stimmen“, heisst, es sollte möglichst günstig sein. Deshalb werden auch viele Produkte (oder Teile davon) mit Vorteil in Billiglohnländern hergestellt, damit sie für uns „erschwinglich“ sind. 

Ethik, Fairness und Nachhaltigkeit sind deshalb Themen, welche meist ausserhalb der Wirtschaft, vielfach durch NonProfit-Organisationen aufs Tapet gebracht und eingefordert werden. Sie setzen sich für Mensch und Natur ein. Denn der Kapitalismus basiert auf Wettbewerb, Profit und Wachstum. Mensch und Natur spielen dabei einfach die Rolle von Kostenfaktoren, mehr nicht…

Ein Herz für jene, die uns versorgen

two person holding papercut heart

Kaum jemand kann und möchte mit all diesen hilfreichen Menschen bekannt sein und ihnen persönlich danken. Aber wie wäre es, wenn wir gleichwohl einen Schritt aus der Anonymität wagen und mehr Transparenz in unser Leben bringen würden? Wieso nicht z.B. bei einem Gemeinschaftsgarten mitmachen, um zu wissen, woher das Gemüse kommt, wie es angebaut, geerntet und verteilt wird? 

Wieso nicht dieses Prinzip der verbindlichen Teilhabe verallgemeinern und mit einer Welle der Solidarität das eigene Dorf beleben? Wie wäre es, wenn wir der Bäcker:in einen Besuch abstatten und ihr ein Herz übergeben würden, sinnbildlich für unsere Solidarität und unserer festen Absicht, von nun an jede Woche bei ihr Brot zu kaufen? Was, wenn die Solidaritätsherzen im Schaufenster aufgehängt würden, um auch anderen zu zeigen, wie viele sich bereits solidarisch mit der Bäckerei erklärt haben? Und was geschähe, wenn dies sehr viele Menschen im ganzen Dorf tun würden?

Die Bäcker:in bräuchte sich plötzlich keine finanziellen Sorgen mehr zu machen. Sie könnte sogar die Brotpreise zusammen mit ihren solidarischen Menschen festlegen. Was die Bäcker:in antreibt, ist, das beste Brot zu backen und dabei Geld zu verdienen, damit sie davon gut leben kann. Was wäre, wenn ihr Einkommen durch die solidarische Stammkundschaft getragen würde, indem ihr alle einen bestimmten Betrag im Voraus zahlen würden? Die Bäcker:in könnte sich dem Backen und den Wünschen ihrer Kunden widmen, ohne dauernd auf die erwirtschaftete Rendite schielen zu müssen. Und die solidarischen Kunden könnten ihr Brot einfach bei ihrer Bäcker:in abholen, ohne das Portemonnaie zücken zu müssen (siehe auch Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften).

Wir könnten mit einem Kleber oder einem Herzen so all jene auszeichnen und wertschätzen, welche eine Versorgung für uns sicherstellen, indem wir uns bewusst und verpflichtend für sie entschieden.

Ein Herz für die Familie

a row of white clothes on a line on a fence

Vielleicht beginnen wir aber auch einfach wieder in der eigenen Familie: Verteilen wir doch Herzen an all jene, welche unsere Wäsche waschen, für uns einkaufen gehen, das Geld verdienen, unser Velo flicken, das Bad putzen oder die Wohnung saugen.

Diese Herzen dürfen dabei nicht bewertet werden, weil auch die „kleinste“ Abhängigkeit eine Abhängigkeit ist. Ob jemand mit seinem Lohn für die finanzielle Sicherheit der Familie sorgt oder durch Putzen der gemeinsamen Wohnung oder Waschen der Wäsche, die Familie vor Chaos und Krankheit schützt und unser Wohlbefinden und Sauberkeit sicherstellt, sollte völlig egal und (wenn immer möglich) nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Damit die Familie als Familie funktioniert, braucht es all diese Tätigkeiten. Von einer Familie oder Gemeinschaft können wir dann reden, wenn alle etwas beitragen und damit Herzen generieren.

Wenn wir in der Familie unsere Verbindungen sichtbar machen, die unser Zusammenleben vereinfachen, wenn wir uns in unserem Dorf unserer Abhängigkeiten bewusst werden und pflegen, dann können wir auf diesen Stufen wieder Vertrauen und Gemeinschaften aufbauen. Vertrauen ist Stärke, Vertrauen ist Macht und Vertrauen gibt uns Sicherheit.

Die Sichtbarmachung und das bewusste Eingehen von Abhängigkeiten ist auch ein Merkmal von Commons und würde einen Weg aufzeigen, wie wir bestehende marktorientierte Firmen in Commons überführen können.

Commons ist,

… wenn viele gemeinsam etwas besitzen und pflegen ohne Eigentümer:innen zu sein. Commons ist das, was vor dem Eigentum weithin existierte. Das moderne Eigentum ist dagegen ein erst junges Konzept. Eine Eigentümer:in kann Andere rechtlich ausschließen, obwohl die Eigentümer:in die Sache selbst gar nicht gebraucht. Das Eigentum verdrängte die Commons im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit mit dem Aufkommen der Marktwirtschaft. Commons nennt man auch Gemeingut, Allmende oder Gemeinheit.

… wenn Menschen sich gemeinsam ausrichten, um Commons zu machen. Wir machen Güter zu Commons, wenn wir sie gemeinsam, selbstorganisiert und bedürfnisorientiert produzieren, verwalten, pflegen und nutzen. Diesen Prozess bezeichnen wir als Commoning. Commoning findet jenseits von Markt und Staat statt. Es geht um Bedürfnisse statt Profite, Selbstorganisation statt Befehl, Kooperation statt Konkurrenz. So produziert Wikipedia zum Beispiel frei zugängliches Wissen, und in sozialen Bewegungen wie der Klimabewegungen organisieren sich Menschen gemeinsam.

(aus https://commons-institut.org/)

Weg von anonymer Marktabhängigkeit

Mit dem Verteilen von Herzen und der verbindlichen Unterstützung, kann der erste Schritt weg von der anonymen Marktabhängigkeit hin zu einer persönlichen Bedürfnisabhängigkeit mit gemeinsamer Verantwortung und Versorgung getan werden. Es stehen dann nicht mehr Preise (also Geld) im Vordergrund, sondern vermehrt effektive Bedürfnisse und die Menschen, die dahinterstehen. Gepaart mit der Möglichkeit, Einfluss auf Qualität und nachhaltige Herstellung zu fairen Bedingungen zu nehmen.

Was findest du? Ist Herzen verteilen eine gute Idee? Würdest du das machen? Sollte Monda Futura solche Herzen produzieren und zur Verfügung stellen?

Hast du Teil 1: Zeit der Unsicherheit  & Teil 2: Freiheit durch Abhängigkeit unserer Vertrauensserie schon entdeckt?

Bild von Werner Schuller

Werner Schuller

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