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Das Mass aller Dinge

Unsere Erziehung lehrt uns, bei allem Mass zu halten. Zwar sollten wir uns auch nicht gerade mit dem Mittelmass zufriedengeben, aber über das Mass hinauszuschiessen ist ebenso wenig gut. Das richtige Mass zu finden, ist deshalb eine Lebensaufgabe, die wir bei all unserem Tun im Auge behalten sollten.

Letzthin hat uns Herr Bundesrat Albert Rösti anlässlich der bundesrätlichen Stellungnahme zur Umweltverantwortungsinitiative (UVI) erklärt, was Nachhaltigkeit ist:

«Die Initianten vergessen, was Nachhaltigkeit ist: Nachhaltigkeit muss auch für den Menschen stimmen und deshalb besteht Nachhaltigkeit aus den Faktoren Ökologie, Soziales, aber eben auch der Wirtschaft, Ökonomie. Und dieser letzte Teil wird vollständig ausgeschlossen»

und

«… Ein Ja hätte gravierende Folgen für die Bevölkerung und die Wirtschaft. So müssten Bund und Kantone beim Konsum weitreichende Vorschriften und Verbote erlassen, die fast alle Bereiche unseres Landes betreffen würden. Es käme zu Einschränkung – so etwa beim Wohnen – bei der Ernährung oder bei der Mobilität. Es müsste auf vieles verzichtet werden, was heute zum gewohnten Lebensstandard gehört. Auch auf die Wirtschaft würde sich diese Initiative stark auswirken. Viele Unternehmen müssten ihre Produktion anpassen, oder könnten gewisse Produkte u.U. nicht mehr herstellen. Es bestünde das Risiko, dass Firmen ins Ausland abwandern und so Arbeitsplätze verloren gehen können. Der Wirtschaftsstandort Schweiz würde geschwächt. …

Wir müssen grundlegend neu denken und neu handeln 

Lieber Herr Bundesrat Rösti, Sie sind sicher darüber informiert, welche Strategie der Bundesrat bereits beschlossen und welche Initiativen und Projekte aktuell durch die Schweiz unterstützt werden und für die Zukunft geplant sind.

Ich empfehle Ihnen dennoch das fünfminütige Video (so viel Zeit muss sein) von Ihrem Bundesamt für Umwelt (BAFU) anzusehen: «Die planetaren Belastbarkeitsgrenzen – und was sie für die Zukunft der Menschheit bedeuten». Das Fazit dieses Videos:

«Wir müssen grundlegend neu denken und neu handeln!»

Es gilt Finanzbereich, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft so umzubauen, dass die planetaren Grenzen in Entscheidungen und Aktivitäten einbezogen werden. Das Video schliesst mit den Worten: «Wir müssen unsere Situation als Chance für marktverändernde Innovation begreifen. Wir haben nur eine Erde und die Ressourcen und Tragfähigkeit dieser Erde sind begrenzt. Was aber unerschöpflich ist, sind unsere Kreativität und unsere Innovationskraft. Nutzen wir sie!»

Wir haben bei unserem Wirtschaften das Mass verloren! Eigentlich zwangsläufig, denn wenn stetes Wachstum Voraussetzung für Wohlstand und gelingendes Wirtschaften ist, dann ist die logische Folge, dass das verträgliche Mass irgendwann mal überschritten wird. Es ist mittlerweile ein wissenschaftlich belegter und globaler Konsens, dass wir über unsere Verhältnisse leben, trotzdem will die Politik mit den Massnahmen nicht richtig in die Gänge kommen. Nicht weil sie es nicht glaubt (das gibt es zwar auch), sondern wegen der offensichtlichen «Zielkonflikte».

Mit Kreativität Zielkonflikte auflösen

Es sind die Zielkonflikte, welche Sie, Herr Bundesrat Rösti, in ihrer Stellungnahme aufzählen. Aus diesen Dilemmata kommen wir aber nicht heraus, wenn wir mit einem «Weiter, wie bisher» den Kopf in den Sand stecken. Es braucht viel Kreativität und konkrete Strategien & Ziele, um die üblichen Blockaden auszuhebeln und die wirtschaftlichen Widersprüche zu eliminieren. Und das BAFU hat da bereits einiges geliefert!

  • Mit der Publikation «Umweltatlas Lieferketten Schweiz» zeigte das BAFU 2020, wo das planetenverträgliche Mass für die Schweizer Wirtschaftsbranchen liegen würde. Zudem werden den Branchen Hinweise zum Setzen ihrer eigenen Reduktionsziele in die Hand gegeben.
  • In seiner Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (SNE 2030) von 2021 zeigt der Bundesrat auf, welche Schwerpunkte er für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der UNO (Agenda 2030) setzt. Damit werden die Leitlinien der bundesrätlichen Nachhaltigkeitspolitik festgelegt und die nachhaltige Entwicklung als eine wichtige Anforderung für alle Politikbereiche des Bundes verankert.

Im Zwischenbericht zur Umsetzung der SNE 2030 steht, dass der Bund bei einigen Themen zwar gut unterwegs ist, die Umsetzung jedoch noch zu langsam verläuft. Die SNE 2030 setzt dazu folgende drei Schwerpunkte:

  • nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion
  • Klima, Energie und Biodiversität sowie
  • Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt.

Die Ziele sind definiert, die Strategien sind klar und die Massnahmen in Umsetzung.

Realpolitik vs. Mut zum schnellen Handel

Lieber Herr Bundesrat Rösti, wir werden unsere zukünftigen Herausforderungen deshalb leider nicht einfach mit «Realpolitik» meistern können, welche sich an den aktuellen «gegebenen Fakten» ausrichtet. Dem Bund scheint dies auch klar zu sein. Nicht umsonst wurde für die Erreichung vieler Ziele eine Zeitspanne bis zum Jahr 2030 gesetzt!

Wenn wirtschaftliche Überlegungen uns daran hindern, das zu tun, was für uns lebensnotwendig ist, dann dient die aktuelle Wirtschaftsweise nicht mehr dem Menschen, sondern sie schadet ihm. Mit dem Dilemma der Zielkonflikte leben wir schon viel zu lange. Und zu lange wurden die «Bedürfnisse» der Wirtschaft stärker gewichtet, als die von Mensch & Natur. Die Folgen, wie z.B. Klimawandel und Biodiversitätsverlust, sind nun offensichtlich und in absehbarer Zukunft noch viel gravierender, wenn es einfach weitergeht, wie bisher.

Die Wirtschaft ist ein Konstrukt, welche dazu da ist, uns ein gutes Leben zu ermöglichen. Wenn sie uns aber mehr schadet als nützt, dann brauchen wir bessere Umsetzungen. Die Wirtschaft hat uns zu dienen und nicht wir der Wirtschaft!

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Werner Schuller

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