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Selbstbestimmte Löhne: Kann das funktionieren?

Ich denke, dass wir sehr viel mehr experimentieren müssen, um zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu gelangen, als wir das heutzutage tun. Und so sehen wir Monda Futura auch ein Stück weit als Reallabor, das Dinge ausprobieren kann, die normalerweise nicht gemacht werden. Wir sind jetzt im Januar mit fünf Leuten in eine neue Phase eingetreten, wo wir Löhne bezahlen können. Weil wir herkömmliche Lohnmodelle, die Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung und Alter und sonstige Faktoren möglichst genau abbilden wollen, nur bedingt für befriedigend halten, da sie die persönlichen Lebensumstände kaum berücksichtigen, wollten wir einen anderen Weg gehen.

Was ist eigentlich unser Bedarf?

Wir wollten uns gemeinsam darüber unterhalten, welchen Bedarf wir eigentlich haben an Lohn, denn das ist ja sehr unterschiedlich und hängt stark von der momentanen Lebenssituation ab. Ob man Familie hat, eine Hypothek zum Abzahlen oder fett geerbt hat, beispielsweise. Also haben wir uns letzten Dienstag zu einer sogenannten Bedarfslohnrunde getroffen. Wie das ausging, kannst du hier lesen. Als Einstieg haben wir gemeinsam ein Brainstorming gemacht und Faktoren gesammelt, die unseren Bedarf an Lohn beeinflussen könnten. Dazu zählen etwa Miete, Krankenkasse, wie viel man auswärts essen geht. Aber auch so Aspekte wie, habe ich Erbe oder Kinder, habe ich Vermögen, all das beeinflusst ja, wie viel Geld ich für ein gutes Leben brauche.


Unsere gesammelten Faktoren, die den Bedarf an Lohn beeinflussen.

Danach haben wir uns 10 Minuten Zeit genommen und alle haben für sich folgende Fragen überlegt und jeweils den Betrag aufgeschrieben, der aus der Überlegung resultierte:

  1. Welchen monatlichen Betrag brauchst du, dass du nicht rückwärts machst? 
  2. Kannst du mit dem Betrag sorgenfrei leben?
  3. Glaubst du, ein höherer Beitrag würde dich signifikant glücklicher machen? 
  4. Würdest du dich mit dem Betrag wertgeschätzt fühlen? 
  5. Hast du in deinem Bedarf deine Rollen und Verantwortungen reflektiert? 
  6. Würdest du deinen Bedarf als Aussenstehende gerechtfertigt finden?

Den Topf nach Bedarf verteilen

Danach sind wir in die tatsächliche Bedarfslohnrunde gegangen. Ich habe auf dem Tisch den total verfügbaren Nettolohn in Spielgeld aufgetürmt. Daneben gab es einen kleineren Topf, der symbolisierte wie viele Lohnnebenkosten anfallen für Versicherungen, für Pensionskasse und weitere Sozialleistungen. Es war klar, dass man den Lohntopf auch überziehen kann, aber dass wir dann unser Budget sprengen. So, und dann ging es los und zwar in drei Runden. Jede der drei Runden wurde reflektiert, indem wir gefragt haben, «wie geht es dir jetzt?», «Was hast du dabei gefühlt?», «Was hast du beobachtet?»

Spielgeld, um den zu verteilenden Lohn zu visualisieren.

Runde Nummer eins: Nimm vom Topf so viel du Bedarf hast

Ich war die letzte Person, die sich am Topf bediente. Mein Bedarf konnte tatsächlich nicht komplett gedeckt werden, der Topf war nicht mehr genügend gefüllt. Ich musste mich also noch mit rund 1500 Franken bei der Bank bedienen und unser Budget damit überziehen. Das war ein doofes Gefühl für mich, weil es ja so den Eindruck gab, «oh, es reicht nicht für mich!» Es war wohl auch doof für die anderen, glaube ich, weil sie realisierten, oh, mein Bedarf hat zur Folge, dass der Bedarf von Raffael nicht komplett gedeckt werden kann.

Zweite Runde: Verschenke von deinem Lohn an andere 

oder gib zurück in die Mitte, wenn du denkst, dass du ein bisschen weggeben kannst. 

Da kamen dann tatsächlich rund 1000 Franken zurück in die Mitte. Es wurde auch Geld gegenseitig verschenkt, was Erstaunen und Freude auslöste. So gab ich beispielsweise 200 Franken zurück in die Mitte und bekam als Reaktion 200 Franken von einer anderen Person zurück. Es war herzerwärmend zu schauen, wie grosszügig wir als junges Team, das sich noch nicht gut kennt, bereits miteinander sind.

Dritte Runde: Nimm jetzt doch noch mehr, falls du noch was brauchst

Niemand wollte mehr. Trotzdem ging es nach dieser dritten und letzten Runde nicht ganz auf. Wir sprengen mit monatlich 450 Franken unseren Topf. Ich halte das aber für tolerierbar. Das liegt im Rahmen, finde ich, wenn dafür alle mit ihrem Lohn happy sind. Und so kann man sagen, dass diese erste Bedarfslohnrunde ein voller Erfolg war. 

Bedarf kann sich ändern

Wir haben abgemacht, dass wir wir jedes halbe Jahre diese Bedarfslohnrunde wiederholen , um auf Änderungen reagieren zu können. Wir sind sehr gespannt, wie sich das weiterentwickelt, werden bestimmt auch drüber berichten.

Zum Schluss möchte ich mich beim Think & Do Tank Dezentrum bedanken, die ebenfalls einen Bedarfslohn haben und ihre Systematik öffentlich gemacht haben. Wir haben uns da teilweise an ihren Reflexionsfragen bedient. Auch bedient haben wir uns bei einem Geldspiel, dessen Herkunft ich nicht genauer eruieren kann (danke, Bastiaan!), das aber wertvoll war, um die verschiedenen Verteil-Runden zu gestalten. 

Was hältst du von unserer Bedarfslohnrunde? Für dich (un-)vorstellbar? Zu intim? Zukunftsfähiges Modell für alle? Ich bin gespannt auf deine Meinung!

Picture of Raffael Wüthrich

Raffael Wüthrich

4 Antworten

  1. Kein schlechtes Verfahren und vor allem auch gut, dass es regelmässig wieder reflektiert wird.

    Neugier: Wie gross war denn die Nettolohnsumme? (gr. Topf) und wie gross der kl. Topf ?(Lohnnebenkosten).

  2. Lieber Raphael und liebes Monda Futura Team,
    Ich bin sehr berührt, dass ihr euch getraut habt und es wirklich getan habt. Und das achtsam. Die Idee, halbjährlich zu sehen, ob es noch passt gerade am Anfang, würde mir als Teammitglied Sicherheit geben.
    Du, Raphael, weißt ja. Dass wir auch sehe viele Experimente gemacht haben, die tief gingen. Wobei ans Geld hatte ich mich nicht getraut.
    Wenn ihr einmal einen Call machen wollt, indem ich ein paar unserer Experimente teile, auch welche die nicht funktioniert haben, können wor das gerne machen. Liebe Grüße in die Schweiz! Angelika

  3. Sehr guter Ansatz, der aber auch aufzeigt, dass es einen erweiterten Rahmen braucht. Eine Gemeinschaft (community), in der Jeder der zur Gemeinschaft beiträgt, auch von der Gemeinschaft getragen wird. Somit können viele (teuere), aber menschliche allgemein Bedürfnisse, von der Allgemeinheit abgedeckt werden. Zum menschlichen Grundrecht gehörenden Dach über dem Kopf, Gesundheitsversorgung, tägliche Essensration, und Arbeit. Die in den Köpfen von alten Männer herschende Idee, dass Junge nicht arbeiten wollen, stimmt nicht. Alle wollen arbeiten, Dinge tun, wenn es Sinn macht. Somit ist der Lohn Nebensache.

  4. Gleich am Anfang an’s Eingemachte, nicht schlecht!

    Das ist ein super wertvoller Prozess auf dem Weg zu einer Sinn-orientierten Wirtschaft.

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