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Stress in einer modernen Welt

Wir leben in einer modernen Gesellschaft. Technologischer Fortschritt bringt uns stetig voran. Ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem sorgt für alles, was wir benötigen. Und ein guter Job sichert unser Einkommen. Unsere individuellen Rechte werden durch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geschützt. Forschung und Bildung sorgen dafür, dass wir nicht stehen, sondern innovativ bleiben, während dem wir weltweit vernetzt über alles Wichtige informiert sind und im gegenseitigen Austausch stehen. Dies ist die Hochglanzseite unserer modernen Welt.

Aber…

Und doch klagen wir über Stress, zunehmende Belastung, Müdigkeit und psychische Probleme. Dabei sind die stetig steigenden Ansprüche im Job und das immer teurere Leben nur die Spitze des Eisberges. Unter der Oberfläche offenbart sich erst die dunkle Seite unserer modernen Gesellschaft: Wir sind eine getriebene Spezies! Ein Kennzeichen unserer Welt ist eben auch das „schnelle Leben“. Jahr für Jahr dreht sich die Erde gefühlt immer schneller.Während wir täglich mit Informationen überhäuft werden und kaum mehr Zeit für deren Einordnung finden, kämpfen wir auch mit einer sich ständig ändernden Welt: Immer neue Technologien drängen in unser Leben, verändern unsere Lebensumstände und verlangen eine stete Anpassung. Tun wir es nicht, droht uns, den gesellschaftlichen Anschluss zu verlieren.

Gemeinsam einsam?

Auch wenn z.B. das Handy unsere Kommunikation revolutioniert hat, vereinnahmt uns gleichzeitig die dadurch entstandene, ständige Erreichbarkeit. Zu jeder Zeit erhalten wir Informationen und Nachrichten von Newsportalen und Sozialen Medien. Wir sind stets verfügbar, immer in Bereitschaft, sozial auf Abruf. Wir vergleichen uns weltweit, eifern selbsternannten Influenzer:innen nach und leben im Extremfall ein fremdbestimmtes Leben, nach den Idealen unserer vermeintlichen Idole. Und doch lassen uns Smartphones und der hohe Social Media-Konsum paradoxerweise auch immer mehr vereinsamen, wenn echte Beziehungen nicht mehr zustande kommen.

Stets dran..

Wir lernen lebenslang, bilden uns weiter und geben alles für einen guten Job, eine aufsteigende Karriere, oder einfach für ein erfolgreiches Leben. Um zu genügen, arbeiten wir länger, jetten in der Welt herum, um etwas gesehen zu haben, verpassen keine angesagte Party und kaufen, was uns zu etwas Prestige verhilft oder die Werbung als gerade „In“ anpreist. Die Folgen unseres modernen Lebens treibt uns auch auf die Strassen, wenn Natur zerstört, das Klima immer weiter angeheizt wird oder die Löhne zu tief und die Lebenshaltungskosten zu hoch sind und die Politik – von Parteiquerelen blockiert – nicht vorwärts kommt und am der Bevölkerung und den Bedürfnissen vorbei politisiert.

…und nonstop gestresst

Die Folgen sind Stress bei der Arbeit, Stress in der Freizeit, beim Konsum und mit unseren Freund:innen und Kontakten. Und obwohl wir noch nie so viel freie Zeit hatten, leiden wir immer mehr auch unter dem Stress fehlender Zeit. Um nicht aus der Worklife-Balance zu geraten, besuchen wir deshalb Entschleunigungskurse, üben uns in Achtsamkeit und versuchen mit Sport, Fitnessstudio oder Yoga Geist und Körper im Gleichgewicht zu halten. So bleiben wir fit für die Anforderungen des schnellen Lebens in einer modernen Gesellschaft.

Warum tun wir uns das an?

Aber was ist der Motor hinter diesem schnellen Leben? Was treibt die westliche Menschheit derart an, dass sie langsam nicht mehr weiss, wo ihr der Kopf steht und wohin die Reise gehen wird: In eine paradiesische Zukunft oder doch eher direkt in die Apokalypse? Was lässt uns immer schneller fortschreiten in eine immer unsichere Welt? Und warum tun wir uns das überhaupt an?

Wir sind zwar innerlich getrieben, können aber die Ursache nicht direkt in uns selbst finden. Der innere Antrieb wird durch einen äusseren Zwang hervorgerufen. Wir können ihn nicht als Antwort auf eine notwendige Anforderung unserer natürlichen Mitwelt ausmachen. Nein, er entsteht in unserer Gesellschaft. Er nimmt uns alle ein und durchdringt alles. Er ist nicht direkt sichtbar und doch ist er immer irgendwie da. Wir handeln in seinem Sinne, ja setzen all unsere Kreativität, unser Können in seinem Sinne ein und opfern dafür meist viel mehr als uns eigentlich lieb ist. So feiern wir Erfolge und erleiden genauso krachende Niederlagen. Wir werden reich und verschwinden ebenso in der Bedeutungslosigkeit. Es lässt uns Kämpfe austragen, wo keine offensichtlichen Feinde vorhanden sind. Und es geht um Sein oder Nichtsein, obwohl (in der Regel) niemand dabei sein Leben verliert.

Wir können diesen Zwang auch benennen. Es ist: Wettbewerb und Konkurrenz!

Mehr ist besser

Die Menschheit spielt leider schon viel zu lange dieses Reality-Spiel um das “Besser-, Weiter-, Höher- und Schneller”-Sein. Es der Antrieb unserer Wirtschaft, der Kerngedanke allen Strebens, die Basis unserer Marktwirtschaft.

Jeder ist Teil dieses Spieles. Wer nicht dabei sein will, wird nicht in die Gesellschaft aufgenommen und bleibt randständig – und ist somit auch: ausser Konkurrenz. Wer das Spiel verliert, scheidet aus der Gesellschaft aus. Erfolge sind nie von Dauer und Niederlagen stets ein Teil davon. Der Wettbewerb heizt uns ein und lässt uns neidisch oder hochnäsig auf unsere Konkurrent:innen schauen. Und jeder spielt das Spiel seines Lebens. Manche geben alles, einige erhalten alles und viele verlieren allzu viel. Und es zeigt sich immer deutlicher: Am Schluss kann niemand gewinnen. Weder die Spieler:innen selber, noch die Gesellschaft als Ganzes. Denn das Spiel kennt kein Ende, ja es hat nicht mal ein zu erreichendes Ziel. Wozu der Stress, wenn es am Schluss doch nur darum geht, besser oder schneller als alle anderen zu sein? Die dann auch wieder nicht anderes im Sinn haben, als uns erneut zu überbieten?

Redbull und Cola

Wir hetzen durchs Erwerbsleben und versuchen uns mit Redbull und Kaffee, mit Cola, Pommes & Burger und bei Bedarf mit Medikamenten und Therapien aufrecht in der Reihe der Arbeitenden und im Strudel des Wettbewerbes zu halten. Und nach dem Erwerbsleben kommt die grosse Leere der Belanglosigkeit oder das grosse Aufholen – nach einem versäumten Leben. 

Es ist ein Spiel, wo in erzwungener Konsequenz in immer kürzerer Zeit unsere planetaren Ressourcen verbraucht werden. Wir sehen zwar seit geraumer Zeit, wohin das führen wird und spüren die Folgen des schnellen Lebens, den Stress, das Ausgelaugtsein und die psychische Belastung in einer immer stärker auseinander driftenden Gesellschaft. Aber gefangen im Hamsterrad der tagtäglichen Geschäftigkeit sind wir der festen Überzeugung: Es gibt keinen Weg heraus.

Mehr Familie = Shopping in der Krise?

Gemäss einer aktuellen Studie des Gottlieb Duttweiler-Instituts (GDI) „Ausgebummelt“ geht der neue Trend der arbeitenden Bevölkerung nun aber doch mehr in Richtung Entspannung: Tendenziell wird weniger gearbeitet und materieller Besitz und Konsum wird als weniger wichtig angesehen. Und Familie, Freunde und Zeit in der Natur, werden als sinnvoller erachtet. Dies wirkt sich zwar ressourcenschonend und klimafreundlich aus, kann und darf aber nicht von Dauer sein. In der Studie schreiben die Autoren denn auch dazu:

“Diese Ergebnisse wirken zunächst ernüchternd. Und doch liefern sie wichtige Ansatzpunkte zur Antwort auf die Frage: Wie gelingt es dem Handel, Shopping aus der Spass- und Sinnkrise zu führen”…

Motor muss weiterlaufen!

Unsere Wirtschaft verträgt Stagnation oder Rückgang nicht allzu lange, der Motor muss weiterlaufen und zwar immer noch etwas schneller als letztes Jahr. Denn Wachstum ist nicht verhandelbar, wenn Arbeitsplätze und Rezession auf dem Spiel stehen.

Um den ureigendsten Bedürfnissen von Mensch und Natur nachzukommen, müssten eben diese ehernen Regeln der Wirtschaftens gebrochen oder umgangen werden. Auch deshalb kommen wir z.B. mit dem Kampf gegen den Klimakollaps oder die Plastikflut einfach nicht vom Fleck.

Der allgegenwärtige Stress betrifft mittlerweile aber nicht nur die Menschen, sondern er hat sich bereits auch auf die anderen Lebewesen unseres Planeten ausgeweitet. Durch unser modernes, hektisches Leben sind auch viele Tiere und Pflanzen im Dauerstress, sei es, weil ihnen ihre Lebensräume abhanden kommen, oder durch Umweltveränderungen oder Katastrophen das Leben von immer mehr Arten zum reinen Überlebenskampf wird.

Shopping muss attraktiver werden!

Die GDI-Studie rät dem Handel übrigens, als Weg aus der Spass- und Sinnkrise, die 4Ps:

“Damit Einkaufen für Kund:innen wieder attraktiver wird, muss der Handel schneller (Promptness), näher (Proximity), schöner (Pleasure) und sinnvoller (Purpose) werden.”

Um den Handel zur retten muss also – wie könnte es anders sein – alles nochmals etwas schneller gehen. Immerhin soll es dabei etwas schöner und sinnvoller zu und hergehen…

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Werner Schuller

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